Unterstützung fehlt: „Wir können so nicht weiterarbeiten“ – Diakonie stoppt Wohnungsnotfallhilfe trotz steigenden Bedarfs

23.09.2022

Das Projekt war ein Novum in der Region: Im März 2021 startete die Diakonie Leipziger Land die Wohnungsnotfallhilfe. Nach nur 18 Monaten hat der Träger jetzt deren Ende verkündet. Grund ist die unzureichende Unterstützung durch den Landkreis.

Sozialarbeiter der Wohnungsnotfallhilfe im Beratungsgespräch

„Wir können so nicht weiterarbeiten“, sagt Sebastian Caspar, der die Wohnungsnotfallhilfe aufgebaut hat und die Finanzierung durch das Sozialamt des Landkreises folgendermaßen beschreibt: Für seine Klientinnen und Klienten hat er jeweils einzeln einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Bewilligt wurde dieser dann aber immer nur für drei Monate – so kurz wie in keinem anderen sächsischen Landkreis, wo aus gutem Grund neun bis zwölf Monate die Regel sind. Schon die Verhandlungen mit Vermietern, die Hilfe bei Anträgen und Ämtergängen sind aufwändig. Sebastian Caspar hat darüber hinaus aber weit mehr geleistet, indem er den ganzen Menschen in den Blick nahm und das, was oft hinter den Problemen steht: Süchte, Schulden, psychische Erkrankungen oder Ehekrisen: „Ich habe mich nicht nur als Feuerwehr verstanden, die schnell eine Notunterkunft besorgt, sondern wollte gemeinsam mit den Betroffenen eine Perspektive erarbeiten.“ Sein Ziel: Die Menschen so stabilisieren, dass sie auf Dauer eine Wohnung halten können. Das sei eben nicht in nur drei Monaten zu stemmen.

„Die kurzen Bewilligungszeiträume ersticken hier nachhaltige, verlässliche Arbeit und führen das Anliegen der Wohnungsnotfallhilfe ad absurdum“, kritisiert auch Fachbereichsleiter Tobias Jahn. „Damit lässt sich dieses Angebot auch nicht langfristig finanzieren. Wir haben in der Startphase erhebliche Spendengelder dafür eingesetzt, die jetzt aber aufgebraucht sind.“ Nachdem mehrere Gespräche mit dem Landkreis wenig erfolgreich gewesen seien, habe man schweren Herzens die Reißleine ziehen müssen. Dabei sei der Bedarf eindeutig da.

Der fehlende politische und finanzielle Wille könnte schon bald handfeste Folgen haben. Sebastian Caspar rechnet damit, dass im Zuge der rasanten Entwicklungen bei Inflation, Energiepreisen und Nebenkosten immer mehr Menschen von Wohnungsnot betroffen oder bedroht sein werden. Schon jetzt existiere das Problem mitnichten nur an Großstadt-Brennpunkten. Allein im ersten Jahr hatte er Kontakt zu rund 45 Männern und Frauen – Menschen aus unterschiedlichen Schichten, die oft durch Lebenskrisen mit nicht bezahlbarem Wohnraum kämpfen. Er schildert zum Beispiel einen Familienvater „in Lohn und Brot“, dessen Partnerin ihm ihre Kaufsucht und die daraus resultierenden Mahnungen gut verheimlicht hatte. „Von einer Räumungsklage überrascht saß nun dieser gestandene Mann weinend vor mir“, erinnert er sich. Eine andere Klientin rang mit Missbrauchserfahrung, Arbeitslosigkeit und Depressionen. Inzwischen hat sie – maßgeblich durch die Wohnungsnotfallhilfe – ihre Probleme angepackt und eine Wohnung, eine neue Arbeit, ja, fast ein ganz neues Leben ohne Arbeitslosengeld II gefunden, erzählt Sebastian Caspar. „Bei solchen Hilfsangeboten zu sparen, ist also sehr kurzfristig gedacht.“