„Die Kinder leben uns Inklusion vor“: Kleine Menschen mit und ohne Behinderung sind im „Apfelbäumchen“ Rötha willkommen
21.06.23
Agnes geht gern in den Kindergarten. Die Sechsjährige flitzt mit dem Bobbycar über den Platz, wird von Wasser magisch angezogen und liebt Entdeckungstouren. Wenn demnächst die Vorschulkinder ein paar Tage wegfahren, ist das fröhliche Mädchen natürlich mit dabei. Alles ganz normal also und doch besonders. Denn Agnes hat das Down-Syndrom. Den Diakonie-Kindergarten „Apfelbäumchen“ in Rötha besucht sie als eins von vier Integrationskindern. Das große Ziel: Kinder mit und ohne Behinderung leben, spielen und lernen gemeinsam. In der Praxis sei dies „gegebenenfalls herausfordernd, viel Arbeit und Verwaltungsaufwand, aber sehr schön“, so Kindergartenleiter Axel Zimmermann. „Die Kinder nehmen Agnes so an, wie sie ist“, erzählt er. „Sie leben uns Inklusion vor.“
Manchmal muss sie das Team in ihrer liebevollen Zuwendung sogar ein wenig bremsen und darauf achten, dass sie Agnes nicht zu sehr bemuttern, sondern als Vorschülerin sehen, obwohl sie deutlich kleiner ist und mehr Hilfe braucht. Wenn nicht ständig jemand nach ihr schaut, kann es schon mal sein, dass sie klatschnass, aber fröhlich in der Dusche steht. Für den Mehraufwand sind Extra-Stunden und heilpädagogische Zusatzqualifikationen eingeplant. Im Foyer hängen Therapiepläne und das Team eignet sich Gebärden an, mit denen Agnes kommuniziert. „Wir sind alle noch am Lernen“, so Axel Zimmermann, der auch dann noch ruhig, herzlich und klar reagiert, als fünf Kinder gleichzeitig mit ihm über die Notwendigkeit von Matschhosen und Händewaschen diskutieren.
Für Agnes‘ Familie ist das „Apfelbäumchen“ ein Glücksgriff. „Sie winkt und strahlt schon auf dem Weg hierher“, erzählt die Mutter. Auch sie ist positiv überrascht von der Offenheit der anderen Kinder. „Sie fragen schon mal, warum Agnes zum Beispiel noch nicht spricht, aber haben null Berührungsängste.“ Kritisch sieht sie die dünne Personaldecke und den häufigen Wechsel – ein grundsätzliches Problem in der sächsischen Kita-Landschaft: „Bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen, die feste Strukturen und Absprachen brauchen, ist das besonders schwierig.“ Generell erlebe sie aber im Team viel Engagement und guten Willen, Offenheit, Herz und Mut. „Inklusion leben ist eben mehr als Kinder ‚nur‘ in den vorhandenen Kita-Alltag zu integrieren. Das ist kein Selbstläufer, sondern kostet enorm viel Kraft und Ressourcen, damit sich alle wohlfühlen.“
Der weite Weg zur Inklusion: Ein „klarer christlicher Auftrag“, von dem alle etwas haben
Die Diakonie Leipziger Land bietet in ihren Kindergärten insgesamt 39 Integrationsplätze. Fachbereichsleiter Stefan Winkelmann sieht es als „klaren christlichen Auftrag“, auch für Kinder mit besonderen Bedürfnissen da zu sein: „Was für sie tun, das tun wir für Jesus Christus.“ Beim Thema Inklusion seien die gesamte Gesellschaft und auch die „große Politik“ gefragt. „Es gibt einen enormen Renovierungs- und Investitionsstau im Kita-Bereich“, kritisiert er. „Inklusion ist nichts Neues, sondern überfällig. Es braucht dafür aber mehr Platz, Personal, Räume, Barrierefreiheit und vor allem den Willen sowie die nötigen finanziellen Ressourcen. Man sollte hier nicht sparen an denen, die es besonders nötig haben“, sagt der Fachbereichsleiter. Der Freistaat Sachsen habe hier noch einen weiten Weg vor sich und viel zu tun. Das Ziel: Jede Kita mit multiprofessionellen Teams – gut ausgebildet für alle Arten von Einschränkungen – genügend Personal, Räumen und Barrierefreiheit ausstatten. Von Inklusion hätten alle etwas, denn am Ende habe doch jedes Kind irgendwelche Besonderheiten und brauche ein wohlwollendes, förderndes Umfeld, in dem es sich entfalten könne. „In keinem Bereich sollten wir Menschen ausschließen“, so Stefan Winkelmann.
Über alle Kolleginnen und Kollegen, die Inklusion trotz schwieriger Rahmenbedingungen und strapaziertem Personalschlüssel leben, freut er sich sehr. „Ein herzliches Dankeschön für das Engagement!“
UN-Kinderrechtskonvention, Art. 23 – von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1990 unterschrieben.